Was zählt in unserem Schulsystem und damit in unserer Gesellschaft? Dieser grundsätzlichen Frage widmete sich das Stück „Esslingen sucht sein Supertalent: Talent oder Täuschung?" der Unterstufen-Theater-AG unter Leitung von Anna Kalusok und Ulla Saur.
Ein Schulkonflikt als Klassenkonflikt: Zwei rivalisierende Schulen, die vornehme Goetheschule und die städtische Schillerschule, treten jedes Jahr beim Talentwettbewerb gegeneinander an. Bisher gewannen stets die Goetheschüler, obwohl sie keineswegs über die überzeugenderen Talente verfügen. Dafür aber über umso mehr Selbstbewusstsein, das sich freilich nicht auf das eigene Selbst und dessen (vielleicht auch nur verborgene, weil für den Erfolg nicht mobilisierungsnotwendige) Talente stützt, sondern auf ihr Glück in der Geburtslotterie, das sie an die Goetheschule gespült hat.
Besonders ausgeprägt trägt Constantin (selbstzufrieden-fies mit Trump-Appeal: Leopold Müller, 7c) seine Hochnäsigkeit vor sich her, schließlich ist sein Vater einer der wichtigsten Förderer, wenn nicht Eigentümer der Privatschule. Schillerschülerin Ashley (kämpferisch: Patricia Metes, 5c) provoziert er so niederträchtig höflich, dass sie beinahe ihr Boxtalent an ihm erprobt, wovon sie nur noch die vermittelnde Leni (Marleen Gronbach, 5c) abhalten kann.
„SChillerschule" – das Bühnenbild streicht das bildungsbürgerliche Erbe der innerstädtischen Lehranstalt durch, als wäre es für Besitzbürgerkinder reserviert. Wie sollten die Schillerschüler da an sich glauben? Als gutes Taktgefühl gilt ihnen „Backpfeife links, Backpfeife rechts". Da braucht es Verbündete, und die finden sie in Hausmeister Maier (mit verschmitztem proletarischem Stolz: Emilio Castellanos, 6e) und Junglehrerin Cimelsbeck (bereit, sich zu behaupten: Coco Zincke, 6b), die das Vergnügen haben, an beiden Schulen zu arbeiten.
Während die Goetheschüler Frau Cimelsbeck abwechselnd servil und respektlos begegnen, lassen sich die Schillerschüler nach anfänglicher Reserve von der jungen Lehrkraft motivieren, ihre ganz eigenen Talente zu entwickeln und beim Wettbewerb zur Geltung zu bringen, wohingegen die Talentbeweise der Goetheschüler doch eher bescheiden ausfallen.
Spätestens hier schlägt die Stunde der schauspielerischen Talente unserer Unterstufe: Wie Constantin einen goldenen Zauberwürfel mehr herzeigt als bewegt, wie Fritzi (herrlich komisch: Mirja Braun, 5c) flache Witze zum Besten gibt und Emma (Lisa Coletti, 6b) und Elisabeth (Diana Albert, 6b) einen Yoga-Baum spielen – das hat große komödiantische Klasse!
Auf der anderen Seite: Boxerin „Ich chill' mein Leben" Ashley, die sich eigentlich nach Geborgenheit sehnt, Ella (Elena Basedow, 5c), die erkennt, dass sie eine schöne Singstimme hat, Rapperin Amy, die reimt: „Jeder will ein Stück vom Fame / Doch der Weg ist hart // Doch der Beat und mein Rap / Sind ein sicherer Pfad" (Text und Darstellerin: Sueda Balci, 5c). Nicht zu vergessen: Zoe Blackwhite (Marlene Horn, 5c), die mit ihrer Ziegenbeschwörung Portale in die Unterwelt öffnet und das Publikum in größte Heiterkeit versetzt, was auch an Marleen Gronbach (5c) liegt, deren Meckern vergessen macht, dass keine echte Ziege auf der Bühne steht.
Aber es gilt ja noch einen Betrug in Form eines Koffers mit Bestechungsgeld aufzudecken, der den Wettbewerb auch diesmal zugunsten der Goetheschule entscheiden soll. Hausmeister Maier hat den Koffer, doch Lehrerin Cimelsbeck weiß: „Wir brauchen knallharte Belege". Mara von der Schillerschule (Mia Özcelik, 6e) und Emma von der Goetheschule (die zeigt, dass dort auch nicht alle gleich sind) scheinen da schon einen Schritt weiter. Als Mara Constantin mit der Korruption seines Vaters konfrontiert, will der sie erst selbst bestechen, dann einschüchtern und wird erst nachdenklich, als sie ihm eröffnet, dass ihr Vater Journalist sei und das Ganze öffentlich machen werde.
Zusammen weihen Emma und Mara Frau Cimelsbeck in den Betrug ein – da meldet sich auch schon der Goetheschuleigner und spielt auf derselben Klaviatur wie zuvor sein Sohnemann: erst Drohungen, dann Bestechungsversuche aus Angst vor der Öffentlichkeit. Aber Frau Cimelsbeck, auch hier überzeugend gespielt von Coco Zincke, bleibt standhaft. Irritiert über den Klassenverrat Emmas („Du bist doch auch auf der Goetheschule"), reagiert Constantin weinerlich auf den Kontrollverlust („Mein Vater wollte mir doch nur etwas Gutes tun").
Und so kommt es zum Endkampf in einer neuen Runde des Talentwettbewerbs. Doch die Regie lässt offen, wer am Ende siegt: Noch einmal die gedopte Goetheschule oder doch die echten Talente der chilligen Schillerschule?
Großer Applaus für ein ebenso vergnügliches wie nachdenklich machendes Stück. Sieht so unser Schulsystem aus? Ist es um die Chancengerechtigkeit wirklich so schlecht bestellt? Zumindest nicht in Esslingen, versichert Schulleiterin Gerda Eller hinterher: „Hier geht es zivilisiert zu zwischen den Schulen." Und: „Ich habe viel Talent gesehen!" Den Dank an die schauspielerischen Talente der Unterstufe verbindet sie mit einem „großen Dankeschön an die Talententdecker und Talentförderer", Frau Kalusok (Drehbuch, Regie), Frau Saur (Kostüme, Requisiten, Regie) und Herrn Fetzer, der mit kreativen Ideen beim Bühnenbild, am Technikmischpult, mit Soundeffekten und als Stimme aus dem Off ebenfalls zum Gelingen der fulminanten Aufführung beigetragen hat.
har